Der musikalische Sonnenschutz gegen graue Alltagstage!
Es gibt diese Songs, die sich anfühlen wie ein Kratzer im Lack des Lebens – unsichtbar, bis das Licht genau so einfällt, dass alles bricht. So Long von Wavves ist so ein Moment: Nathan Williams’ Stimme klingt, als würde jemand Liebesbriefe in einer Drogerie-Kassenzone verfassen, zwischen Kaugummis und Tabloid-Schlagzeilen. Der Track beginnt mit einem Riff, das nach verbranntem Strandtuch riecht, nach Sonnencreme und gescheiterten Vorsätzen. Produzent Aaron Rubin hat hier keinen Sound gebaut, sondern ein Biotop aus Echos – jeder Hall ein Ghosting-Anruf aus der Vergangenheit. Wenn Williams „So long, my dear disaster“ murmelt, meint man das Knirschen von Polaroids zu hören, die jemand in der Westentasche zerknüllt, während die U-Bahn-Türen zufallen.
Wavves’ frühe Werke wie King of the Beach waren noch Revolte im Bademantel, Teenager-Apokalypse mit Sand in den Taschen. So Long dagegen ist die Midlife-Crisis, die sich als Schlager tarnt: Die Drums von Ross Traver hämmern wie ein Wecker, den man nach durchzechter Nacht wegboxt, die Gitarren kreischen wie U-Bahn-Schienen im Winter. Co-Produzent Rubin presst den DIY-Charme der Band durch ein Nostalgie-Sieb – heraus kommt etwas, das nach alter Wunde schmeckt, aber mit dem Sauerstoffzelt moderner Produktion beatmet wird. Man könnte meinen, hier hätte jemand die ASMR-Videos einer ganzen Generation in G-Dur ertränkt.
Lyrisch ist das Ganze ein Banküberfall auf die eigene Biografie: „Hideaway is about [...] realizing no one is going to save you but yourself“, heißt es im Bandcamp-Text – ein Motto, das so tut, als wäre es mit Edding auf eine U-Bahn-Toilette gekritzelt. Williams’ Texte lesen sich wie die Sprachnachrichten eines Freundes, der sich gleich wieder löscht. Es ist diese Art von Verletzlichkeit, die nur funktioniert, wenn sie sich hinter Verzerrungspedalen verschanzt. Die Zeilen tropfen vor Selbstironie wie ein Billig-Bierdeckel, der seine letzte Runde dreht.
Interessant die Wahl von Vydia als Vertrieb – ein Label, dessen Name nach algorithmischer Unsterblichkeit schreit. Doch Wavves tricksen das System aus, indem sie die digitale Unmittelbarkeit mit analoger Brüchigkeit unterwandern. Diese Single ist kein Streaming-Futter, sondern ein trojanisches Pferd, das die Hörerschaft zwingt, die Playlist zu verlassen und stattdessen alte Polaroids zu durchwühlen.
Am Ende bleibt ein Song, der nicht enden will. So Long ist das Gegenteil von Streaming-Optimierung: ein Track, der sich weigert, zum Hintergrundrauschen zu verkommen. Stattdessen nagt er wie Zahnschmerz an der Backe der Erinnerung – unangenehm, aber irgendwie tröstlich in seiner Penetranz. Wenn Pop wirklich die letzte Wahrheit ist, wie Stuckrad-Barre sagt, dann ist dies die unbequemste Variante: ein Spiegel, der nicht nur zeigt, was war, sondern auch, was hätte sein können. Man hört es und denkt: Abschiede sind nur Liebeserklärungen, die zu spät kommen. Mit Extra-Reverb.