Ein Versuch, die Gallagher-Galaxis zu begreifen – mit verwackeltem Kamerablitz, verrutschter Sonnenbrille und viel zu viel britischem Pathos.
Es gibt eine Sorte Bilder, die sofort zu Erinnerungen werden – auch wenn man nie dabei war. Weil sie größer sind als das, was sie zeigen. Weil sie den Raum übersteigen, in dem sie entstanden sind. Weil sie nicht bloß dokumentieren, sondern ein Gefühl konservieren, ein ganz bestimmtes Zittern in der Luft, einen Sound, der noch nicht einmal gespielt wurde – und trotzdem sofort auf der Haut liegt, wie eine Vorahnung. Diese Sorte Bilder hat Tom Sheehan gemacht. Viele davon. Die besten. Die wichtigsten. Die, ohne die man sich Oasis nur halb so sehr vorstellen könnte. Die Aufnahmen, bei denen man nicht weiß: Erinnern wir uns an die Band – oder an das Foto von ihr? War Liam so lässig? Oder hat Sheehan ihn so gesehen? War Noel wirklich so unnahbar? Oder wurde er erst durch das Licht aus Tom Sheehans Kamera zu der stillen, melancholischen Figur, als die man ihn jetzt erinnert?
Tom Sheehan hat sie alle fotografiert. The Smiths, The Cure, Blur, Radiohead, The Clash sowieso. Aber bei Oasis war es anders. Da war es kein Auftrag. Kein Pressetermin. Kein Plan. Es war eine Begegnung. Und wie das mit Begegnungen so ist – wenn sie echt sind, passiert etwas. Etwas, das man nicht beeinflussen kann. Man kann es nicht wiederholen, nicht vorhersehen, nicht optimieren. Es ist einfach da. In einem Blick. In einem Moment. In einem Blitz. Und dann ist es vorbei. Außer du bist Tom Sheehan. Dann hast du vorher auf den Auslöser gedrückt.
Natürlich war Oasis nie bloß eine Band. Oasis war ein Weltbild, ein Gefühl, eine britische Trotzreaktion auf alles, was zu still, zu höflich, zu angepasst war. Britpop als Lebenshaltung. Und Oasis als Könige dieses Gefühls, dieser Haltung, dieser ewigen, flackernden Reibung zwischen „Fick dich“ und „Umarme mich“. Es war Musik, klar. Aber es war auch: eine Seifenoper. Ein Boxkampf. Ein Bruderkonflikt, der so tief ging, dass selbst Shakespeare da irgendwann resigniert die Feder hingelegt hätte. Und mittendrin: Tom Sheehan. Der Fotograf. Der Vermittler. Der, der alles gesehen hat – und trotzdem nicht weggeschaut hat. Oder vielleicht gerade deshalb.
Als er das erste Mal Liam Gallagher vor der Linse hatte, wusste er sofort, dass das kein normaler Sänger war. Sondern ein Phänomen. Liam war nicht einfach da – er füllte den Raum, bevor er ihn betrat. Er war das Bild, noch bevor die Kamera klickte. Und Sheehan verstand das. Er hat ihn nie zurechtgerückt. Nie korrigiert. Nie gebeten, sich mal anders hinzustellen. Warum auch? Liam war schon perfekt inszeniert – von sich selbst. Das Einzige, was Sheehan tun musste: den Moment retten. Ihn festhalten, bevor er verpufft. Denn Liam war schnell. Nicht nur im Reden. Auch im Vergehen. Er war immer einen Schritt weiter, ein Gedanke voraus, eine Eskalation entfernt. Man konnte ihn nicht fassen – nur fotografieren. Vielleicht ist das der Unterschied. Vielleicht ist das der Grund, warum Sheehans Bilder so viel echter wirken als all die nachträglich bearbeiteten Hochglanzproduktionen von heute.
Noel war anders. Verschlossener. Skeptischer. Ein Mann, der nie ganz im Raum war, auch wenn er da saß. Immer irgendwo zwischen den Zeilen. Zwischen zwei Riffs. Zwischen dem Wunsch, der größte Songwriter seiner Generation zu sein – und dem Wissen, dass ihm der eigene Bruder immer die Show stehlen würde. Sheehan sagt, er habe ihn „tricksen“ müssen. Ihn erst reden lassen. Über Musik, über Manchester, über die Beatles. Und irgendwann habe Noel vergessen, dass er fotografiert wurde. Das klingt einfach. Aber es ist eine Kunst. Und nur Sheehan konnte das. Weil er nie gedrängt hat. Weil er nie zu viel wollte. Weil er da war – aber nie im Weg. Vielleicht ist das der Grund, warum Noel ihn mochte. Oder zumindest: ihn nicht gehasst hat.
Die 90er, wie sie sich heute viele zurückwünschen, waren für Oasis keine Nostalgie, sondern Krieg. Es war eine Zeit voller Rausch, voller Lärm, voller Plattenverträge, Tourneen, Skandale, zerbrochener Gitarren, zerbrochener Hotelzimmer, zerbrochener Beziehungen. Und durch all das hindurch: Sheehan. Der Mann mit der Kamera, der nicht fragte, sondern beobachtete. Der nicht dokumentierte, sondern verstand. Seine Bilder sind keine Fotos – sie sind Szenen. Mini-Filme. Immer einen Moment vor dem Zusammenbruch. Oder direkt danach. Kein Glamour. Keine Lüge. Nur: Wahrheit. Und das ist, in einem Business voller Inszenierungen, das Größte, was man schaffen kann.
Jetzt also – angeblich – die Reunion. Die große Tour. Die Heimkehr. „Definitely Maybe“ wird 30 Jahre alt. Und plötzlich steht alles wieder auf Anfang. Die Brüder, die jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, sollen wieder gemeinsam auf einer Bühne stehen. In denselben Stadien, in denen sie sich einst zerlegt haben. Die selben Songs, die inzwischen zu Hymnen einer verlorenen Generation geworden sind, sollen wieder live gespielt werden. Und alle fragen sich: Wird es funktionieren? Ist das echt? Ist das mehr als ein PR-Stunt, mehr als Nostalgie, mehr als ein letztes großes Ausverkaufen des eigenen Mythos?
Tom Sheehan sagt in seinem Interview mit dem NME, dass Oasis nie wieder so sein werden wie früher. Weil sie nicht mehr dieselben sind. Weil der Moment vorbei ist. Weil der Zauber, den er damals festgehalten hat, nicht reproduzierbar ist. Und trotzdem ist er vorsichtig optimistisch. Weil er weiß, dass die Songs geblieben sind. Und die Sehnsucht. Und vielleicht ist das genug. Vielleicht ist das sogar alles. Denn in einer Welt, in der jeder Moment sofort auf Instagram gepostet, in Echtzeit bewertet und noch schneller wieder vergessen wird, sind Sheehans Bilder ein Gegenentwurf. Sie bleiben. Sie altern nicht. Sie erzählen keine Geschichte – sie sind die Geschichte. Und vielleicht ist genau das die große Kunst: nicht zu erklären, was passiert. Sondern zu zeigen, was ist.
Tom Sheehan hat Oasis nicht erfunden. Aber er hat sie sichtbar gemacht. Und das ist fast dasselbe. Denn Sichtbarkeit bedeutet Erinnerung. Und Erinnerung bedeutet Mythos. Und Mythos ist – wenn wir ehrlich sind – das Einzige, woran wir uns klammern, wenn die Musik vorbei ist. Vielleicht wird es nie wieder so sein wie früher. Vielleicht wird die neue Tour ein letztes Aufbäumen. Vielleicht werden wir enttäuscht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht werden wir, für ein paar Minuten, wieder das spüren, was wir dachten, längst verloren zu haben. Und wenn das passiert – dann hoffe ich, dass irgendwo ein Mann mit Kamera steht. Still. Unauffällig. Bereit. Und ich hoffe, dass er Tom heißt.
Weil ich weiß: Wenn er es aufnimmt, wird es bleiben. Für immer.
Das Interview gibt es hier: Photographer Tom Sheehan on the secrets of shooting Oasis – and the band's "unfinished business"