KI macht Werbung menschlicher – indem sie Menschen überflüssig macht
Und so also beginnt es. Der Moment, in dem die Maschinen endgültig übernehmen, ohne dass jemand wirklich protestiert, weil es ja "nur" Werbung ist. Ganz harmlos. Ganz normal. Nicht der große Knall, nicht der metallene Fuß eines Roboters, der dröhnend auf den Asphalt einer menschenleeren Stadt kracht. Nein, stattdessen eine KI-generierte Fernsehwerbung für Zahnpasta. Oder vielmehr: für die Erinnerung an Zahnpasta. Eine Reminiszenz an 100 Jahre Lacalut, zusammengeknetet aus Milliarden Datenpunkten, gespeist von Algorithmen, denen es egal ist, ob ein Lächeln aus den 1920ern oder den 2020ern stammt, solange es gut ins Gesamtbild passt.
Die Verantwortlichen bei Seven.One Media, Havas Media und Havas Play feiern sich und dieses Projekt als epochalen Fortschritt: Ein Werbespot, vollständig von KI generiert. Sie sprechen von einem "Meilenstein". Das deutsche Fernsehen wird Zeuge einer Premiere, einer feierlichen Erstaufführung. Lacalut kehrt nach Jahren der Abstinenz zurück auf die Bildschirme der ProSiebenSat.1-Gruppe, um mit einem gewagten, geschmeidig animierten KI-Spot sein Jubiläum zu begehen. Und zwar richtig: Der Clip wird nicht nur einmalig ausgestrahlt, sondern in den kommenden Wochen in Dauerschleife durch die Programme gejagt.
Was sieht man? Menschen aus vergangenen Jahrzehnten, eine Reise durch die Werbewelt der Zeit, Lächeln, die in Schwarz-Weiß beginnen und sich sanft in Farbe auflösen, stets umrahmt von einer perfekten, makellosen Zahnreihe. Und alles, aber auch wirklich alles in diesem Spot ist maschinell erschaffen. Keine teuren Drehs, keine langwierigen Castings, keine zickigen Models, die am Set plötzlich nicht mehr lächeln wollen. Die KI macht das schon. Sie entwirft die Gesichter, die Hintergründe, sie komponiert die Musik, spricht die Voice-over-Texte.
"Mit diesem KI-Spot schreiben wir TV-Geschichte", verkündet Markus Messerer, Chief Commercial Officer von ProSiebenSat.1, mit der Inbrunst eines Raumfahrtingenieurs, der soeben eine bemannte Mission zum Mars angekündigt hat. "Wir beweisen, dass KI nicht nur ein Buzzword ist, sondern ein mächtiges Werkzeug für kreative und emotionale Werbung." Man spürt diesen Stolz, diese Euphorie. Hier, an dieser Stelle, passiert gerade Zukunft. Hier übernimmt die Maschine, aber es ist okay, weil es schön aussieht.
Sven Traichel, CEO bei Havas Media, zeigt sich ebenso begeistert: "Die Zeitreise in die Vergangenheit im Spot ist gleichzeitig ein Blick in die Zukunft der Spotproduktion. Diese Kampagne ist ein Meilenstein für Lacalut und für die Werbewelt in Deutschland." Eine Zeitreise! In die Vergangenheit! In die Zukunft! Gleichzeitig! Der Optimismus ist mit Händen zu greifen.
Doch während die Marketingabteilungen Champagner entkorken, bleibt die Frage: Ist das wirklich ein Meilenstein? Oder ist es nur der nächste logische Schritt in einer Entwicklung, die schon längst begonnen hat? Und wenn KI das alles so gut kann – was bleibt dann noch für die Menschen zu tun?
Auf der einen Seite sind die Vorteile offensichtlich: KI-generierte Werbung spart Zeit und Geld. Keine teuren Filmproduktionen, keine langwierigen Postproduktionsprozesse. Einfach den Algorithmus füttern, ein bisschen hier und da nachjustieren, und fertig ist das perfekte Werbemittel. Die Maschine erschafft Spots in Minutenschnelle, individualisiert sie für unterschiedliche Zielgruppen, testet Versionen durch, die früher wochenlange Meetings benötigt hätten.
Aber auf der anderen Seite: Wo bleibt das Menschliche? Das Unperfekte, das Unerwartete? Ist es wirklich Fortschritt, wenn ein Spot keinen Regisseur, keine Schauspieler, keine Künstler mehr braucht? Oder ist es nur eine weitere Schleifung des Mediums auf einen Punkt, an dem Werbung nur noch optimierte Simulation ist?
Und natürlich: die Ethik. Wir sprechen hier von einer Technologie, die Emotionen simuliert, aber keine besitzt. Die Kreativität imitiert, aber keine empfindet. Was passiert, wenn wir uns daran gewöhnen? Wenn der Unterschied zwischen echtem und simuliertem Lächeln so weit verschwindet, dass es keiner mehr merkt? Wenn KI in der Werbung nur der Anfang ist und irgendwann ganze Filme so produziert werden? Kein Regisseur, kein Set, keine Gagen für Drehbuchautoren. Nur noch eine Maschine, die ausrechnet, was gefällt, und es dann ausspuckt.
Vielleicht ist es das, was uns dieser Spot wirklich sagt: Wir stehen am Anfang einer neuen Ära. Nicht mit einem großen Knall, sondern mit einer perfekten Zahnreihe, makellos in Szene gesetzt von einer Künstlichen Intelligenz, die keine Zähne hat.