Der nächste Schritt in der KI-gestützten Videobearbeitung
Die KI ist da – und sie bleibt. Sie schreibt Texte, malt Bilder und nun also auch: verlängert Videos. Ja, Adobe hat mit der neuesten Beta-Version von Premiere Pro einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft der Videobearbeitung gemacht. Die Funktion hört auf den sperrigen, aber verheißungsvollen Namen »Generatives Erweitern« und verspricht nichts Geringeres, als Szenen und Audioclips auf Knopfdruck zu verlängern. Ein technischer Sprung, der nicht nur Arbeit erleichtert, sondern auch die kreative Freiheit der Cutter:innen erheblich erweitern könnte.
Aber wie revolutionär ist diese Entwicklung tatsächlich? Und was kann sie wirklich? Zeit für eine vertiefte Betrachtung.
Die Theorie: KI als Werkzeug, nicht als Künstler
Adobe hat in den vergangenen Jahren viel in künstliche Intelligenz investiert – und dabei stets betont, dass es nicht um das Ersetzen von Kreativen geht, sondern um das Erleichtern ihrer Arbeit. Mit dieser Philosophie hat das Unternehmen zahlreiche Features entwickelt, die auf den ersten Blick unspektakulär wirken, in der Praxis aber echte Gamechanger sind.
»Generatives Erweitern« passt genau in dieses Muster. Anders als viele andere KI-Tools erzeugt diese Funktion keine völlig neuen Inhalte auf Basis von Text-Eingaben oder abstrakten Anweisungen. Stattdessen ergänzt sie vorhandenes Material auf intelligente Weise – subtil und angepasst. Ein Clip ist zu kurz für den geplanten Schnitt? Eine Szene braucht mehr Spielraum, damit die Überblendung flüssiger wirkt? Genau hier setzt das Tool an.
Das Potenzial ist enorm: Kreative können ihre Produktionen präziser anpassen, ohne aufwendig neues Material drehen zu müssen. Doch wie so oft liegt die Wahrheit im Detail – und vor allem im Praxistest.
Die Praxis: Einschränkungen und Möglichkeiten der Beta
Die aktuelle Beta-Version zeigt, wohin die Reise geht, aber auch, wo noch Baustellen sind. Im Moment erlaubt »Generatives Erweitern« die Verlängerung von Videoclips um bis zu zwei Sekunden – und von Audiomaterial sogar um bis zu zehn Sekunden. Klingt wenig, doch wer im Schnitt arbeitet, weiß: Jede Sekunde zählt.
Doch es gibt Grenzen. Aktuell funktioniert die Erweiterung nur mit Videos in HD-Auflösung und einer maximalen Bildrate von 30p. 4K? Fehlanzeige. Zeitlupen? Geht, aber nur über einen umständlichen Workaround: Man muss das hochframerate Video zuerst in eine niedrigere Framerate exportieren und dann wieder importieren. Komfortabel ist anders, aber der Trick funktioniert.
Ein weiteres Detail, das man nicht übersehen sollte: Die KI arbeitet nur mit Material im Rec.709-Farbraum. HDR-Inhalte werden nicht unterstützt, was die Anwendungsfälle weiter einschränkt.
Am auffälligsten jedoch ist die Cloud-Anbindung. Ohne Internet geht nichts, denn die Berechnungen finden nicht lokal statt. Wer also im Zug oder an einem abgelegenen Drehort arbeitet, muss auf das Feature verzichten.
Die Anwendung: Wo „Generatives Erweitern“ glänzt – und wo nicht
Trotz dieser Einschränkungen gibt es beeindruckende Anwendungsfälle. Ein Beispiel: Nach einem Interview ist der letzte Satz des Protagonisten perfekt – aber der Kameramann hat zu früh aufgehört zu filmen. Hier schafft das Tool Abhilfe, indem es die Szene so verlängert, dass der Schnitt sauber gesetzt werden kann. Oder ein Übergang passt nicht zur Musik, weil der Clip zu kurz ist? Auch hier kann die KI helfen.
Besonders gut funktioniert »Generatives Erweitern« bei Überblendungen. Der generierte Inhalt ist oft so gut integriert, dass er kaum auffällt – eine echte Erleichterung für alle, die in der Postproduktion arbeiten. Schwierig wird es hingegen bei Musik und klaren Dialogen. Die KI kann keine neuen musikalischen Elemente generieren und verlängert auch keine klar verständlichen Gespräche.
Das bedeutet: Wer beispielsweise den Monolog eines Schauspielers verlängern möchte, wird enttäuscht. Stattdessen konzentriert sich die Technologie auf Atmosphären, Hintergrundgeräusche und visuelle Elemente.
Das große Bild: Ein Blick in die Zukunft
Adobe ist mit »Generatives Erweitern« auf einem spannenden Weg. Auch wenn das Tool noch nicht perfekt ist, zeigt es, was möglich wird, wenn KI und Kreativität zusammenfinden. Die Idee, Szenen ohne großen Aufwand zu verlängern, wird in den kommenden Jahren immer relevanter – besonders in einer Zeit, in der Produktionsbudgets oft knapp bemessen sind und die Nachfrage nach Inhalten weiter steigt.
Natürlich bleibt abzuwarten, wie sich die Funktion in der finalen Version entwickelt. 4K-Unterstützung und eine breitere Anwendbarkeit wären wünschenswert, ebenso wie eine Optimierung der Renderzeiten. Doch selbst in der aktuellen Form bietet »Generatives Erweitern« einen faszinierenden Vorgeschmack auf die Zukunft der Videobearbeitung.
Ob diese Zukunft auch die menschliche Kreativität neu definiert, bleibt offen. Doch eines ist sicher: Die Grenze zwischen Mensch und Maschine wird immer durchlässiger. Und genau das macht den Reiz aus.